Das Jazzfest heute begann auch wieder mit einem Interview der Musiker. Ich finde das immer nett und informativ. Es gibt hier und da besondere Einblicke in die Arbeit der Musiker und deren Arbeitsleben.
Auf der großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele startete das Jazzfest Fotogen. Sven-Ake Johansson, der International bekannte schwedische Schlagzeuger und Komponist, performte seine Komposition „MM Schäumend-Ouvertüre für 15 Handfeuerlöscher“. Und ja, es waren 15 „Spieler“ mit 15 Feuerlöschern auf der Bühne. Zum Schutz des Publikums vor Wasser und Wasserdampf wurde es mit durchsichtige Platten abgeschirmt. Das Stück war kurz mit vielen Pausen in der Komposition und lebte eher von einem Überraschungseffekt als einem Wow-Effekt. Obwohl es ja so überraschend nicht war denn was konnten Feuerlöscher produzieren? Geräusche .
Die zweite Band waren junge und fantastische instrumentalisten. Die estnische Pianistin Kirke Karja am Klavier und zuständig für die Kompositionen brachte Etienne Renard am Kontrabass und am Schlagzeug im Bullterrier T-Shirt Ludwig Wandinger mit zum Jazzfest auf die Bühne. Obwohl alle gebannt auf das Notenblatt schauten, war es komplett improvisierte Musik im binären System. Viele schöne überwiegend leise aber auch mal laute Töne, also schön dynamisch aber leider ohne den amerikanischen Jazz darin zu präsentieren oder wieder zu spiegeln, zumindest habe ich es so empfunden.
Das dritte und letzte Konzert auf der großen Bühne aber längst noch nicht im Haus, denn es gab danach wieder das Format der im Haus verteilten Musiker und Bands, die es galt zu finden, zu hören, zu sehen, gab das Urgestein am Saxophon Peter Brötzmann. Begleitet wurde er von Hamid Drake dem Hausschlagzeuger des Jazzfests 2022 und, entgegen der Ankündigung nicht von Maalem Moukhtar Gania sondern, von dem einmaligen marokkanischen Musiker Abdelmajid Bekkas, der auch schon vorher bei Joachim Kühn’s Big Band Projekt für das Berliner Jazzfest, mitspielte und sang.
Brötzmann/ Gania/ Drake mit dem Titel “ The Catch of A Ghost“ so wurde das Konzert angekündigt. Im Mittelpunkt Peter Brötzmann der vor dem Konzert mit einem Jazz-Preis geehrt wurde. Peter Brötzmann, inzwischen stolze 80 Jahre, war Vorreiter des deutschen Free-Jazz. Das Trio mit dem Hausschlagzeuger 2022 Hamid Drake und entgegen der Ankündigung, mit dem marokanischen Musiker Abdeljamid Bekkas ( und nicht Maalem Moukhtar Gania) an der Gimbri und mit traditionellem Gesang, war wunderschön, meditativ und rhythmisch und in Parallelwelten unterwegs.
Ich fand es klasse, besonders weil ich den Gesang Abdelmajid Bekkas liebe. Aber: Jazzakkorde ? Jazzmelodien ? Fehlanzeige! Ich habe den ganzen Abend auf der großen Bühne auf dem Jazzfest 2022 in Berlin nicht eine einzige klare Jazzmelodie, nicht einen einzigen klaren Jazzakkord, ja nicht einmal einen Jazzbeat gehört. Das fand ich schon erstaunlich und als Jazzliebhaberin auch ein wenig traurig, denn immerhin ist Berlin Deutschlandweit wohl das Schlußlicht was Jazzkonzerte der amerikanischen Tradition angeht. Wie im vorherigen Blogbeitrag schon erwähnt, sah das aber z.B. der amerikanische Kontrabassist Joshua Abrams aus Chicago ganz anders und fragte mich erstaunt was denn ein Jazzakkord sei. Allerdings ist Chicago voll mit traditionellem Jazz wie Straight Ahead, Contemporary, Bebop oder Swing etc. Er braucht es nicht zu vermissen denn er hat es ständig um sich herum. Leider ist das hier in Berlin nicht der Fall, allerdings frei Improvisierten Jazz und ähnliches haben wir hier zur genüge. Auch genügend Festivals für diese Art von Musik. Musikalisch waren aber alle Bands von Top Qualität und ich habe ihre Musik genossen.
Im Anschluss gab es im Foyer vor einem der oben erwähnten „Hauskonzerte“ weitere Interviews, u.a. mit Peter Brötzmann. Er überzeugte mit Witz und Charme und das Interview fiel darum kurzweilig aus.