Im ersten Teil habe ich den Polyrhythmus, das gleichzeitige Spielen von binären und ternären Rhythmen, mit Hilfe der Notation beschrieben. In diesem Teil möchte ich über die tatsächliche musikalische Anwendung schreiben.
Dieses Beispiel von mir würde nämlich so in moderner Rock und Pop Musik nicht vorkommen. In frei Improvisierter, neuer oder atonaler Musik ist so eine Rhythmus-Kombination aber durchaus denkbar.
In der traditionellen afrikanischen Musik, dort wo der Polyrhythmus herkommt, sind die gleichzeitig zu spielenden Rhythmusstimmen festgelegt. Jede Phrasierung wird auswendig gelernt, kann improvisiert werden und hat eine bestimmte Bedeutung. Das Video ist ein schönes Beispiel dafür.
Leider verschwindet mit den einfachen traditionellen afrikanischen Lebensstrukturen auch diese gar nicht einfache Musik. Es scheint, dass die Musik dem Zeitgeist von menschlichem Ehrgeiz und dem damit verbundenen Zeitdruck weicht. Allerdings lebt die Polyrhythmik in anderer Form noch in unserer neuen, modernen Musik, nämlich in der Jazzmusik weiter. Beispielsweise bei Miles Davis. Er spielte seine rhythmischen Phrasierungen auf der Trompete mit den Phrasierungen des Schlagzeugers so, dass sich ständig Polyrhythmen ergaben. Polyrhythmus muß nicht mathematisch korrekt sein, also genau durch 2 oder drei teilbar, sondern wichtig ist, dass das „feel“, die Wirkung des Rhythmus, der binären oder der ternären Familie zugeordnet werden kann. Wenn z.B. in einem schnelleren Tempo der Solist als „Subdivision“ in Achteln denkt und spielt und der Schlagzeuger triolisch, haben wir die typischen Spannungsfelder der Polyrhythmen. Damit dies als Musik nicht nur funktioniert, sondern auch noch ein Hörgenuss wird, muß der Puls, das Metrum, gemeinsam gespielt werden.
Achtet auf die Phrasierungen der Solisten (Miles Davis und John Coltrane) zu den Phrasierungen der Rhythmusgruppe. Der Drummer ist Philly Joe Jones, Bassist ist Paul Chambers, der Pianist Red Garland.